Robert Wohlleben: Sonett funktioniert die Form? |
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3. Sonette entdecken |
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Eine Lesart wäre, hier eine verletzte Liebe zu sehen, die in Auflehnung gegen erniedrigende Kränkung sich zur Absage sammelt, um Wert und Würde zu wahren. Dann aber mit einem geradezu kaufmännischen Rechentrick es bewerkstelligt, dennoch zu Kreuze zu kriechen. Zwischen den denunziatorischen ersten drei Strophen und dem Freispruch im abschließenden Verspaar, dem epigrammhaften «heroic couplet», geschieht etwas wie eine Gehirnwäsche. Die schmerzhafte Dramatik, die sie fürs Subjekt gehabt haben muß, ist in den Tränen-Perlen zu ahnen: Grammatisch bleibt offen, wessen Tränen die Liebe des Gegenübers zum Fließen bringt. So sind vielleicht eigene Tränen projektiv oder gar abspaltend dem oder der Angesprochenen angelastet. So wörtlich möchte ichs nehmen und ganz absehen von etwa hineinspielenden oder gar zugrunde liegenden Konventionalitäten. [Die Tränen als Perlen gehören wohl noch etwas bedacht, da «pearl» ohne Endung und ohne Artikel erscheint. So mags Adjektiv sein und die Form der Tränen mit Perlen vergleichen die damit wenigstens im Bild wären.] Nummer 34 ist formal ein typisches Shakespeare-Sonett. In dieser auf Henry Howard, Earl of Surrey (?15171547), zurückgehenden englischen Form des Sonetts folgt auf drei vierzeilige Strophen mit jeweils eigenen Reimen abschließend das epigrammhafte Verspaar mit wiederum neuem Reim. Meine damalige Annäherung ist perdü. Erst in jüngerer Zeit habe ich mich erneut darangemacht:
Als ich das Sonett 1954 erstmals las, bin ich allerdings wohl kaum so weit gegangen, mir per Mitteilungsanalyse eine Erklärung zurechtzulegen. Es hat mich schlicht angerührt was immer damit nun bezeichnet ist. Anrührung ging auch aus insbesondere von Georg Heym. Mir ist fast so, als wären damals seine Berlin-Sonette im Spiel gewesen. Eins davon:
Die Spuren der expressionistischen Verlorenheiten im schon heißgelaufenen technischen Zeitalter sind jedenfalls unverlierbar. Als ich etwa zehn Jahre später ein paar Gedichte an die ZEIT schickte die damals in jeder Ausgabe ein Gedicht veröffentlichte und keineswegs vor Sonetten zurückscheute, wie die dort erwachsene Tenzone «Die Dummheit liefert uns ans Messer» von Christoph Meckel und Volker von Törne erweist , retournierte mir Dieter E. Zimmer das folgende mit dem Kommentar «perfekte Heym-Imitation»:
O wei! wie fühlte ich mich mißverstanden. An Heym hatte ich bei meinem Sonett doch überhaupt nicht gedacht. Das war mir doch mehr eine Übung in der Handhabung Klopstockscher Meta- und Parenthesen. Und außerdem ging es schlicht um das konkrete Gaswerk Tiefstack, damals noch in Betrieb. Oft hatte ich einen Freund in seinem Bahnsteigkiosk der benachbarten S-Bahnstation besucht. In seinem kleinen Kabuff gingen wir außer Gedichten auch etwa das Tibetanische Totenbuch durch. Nicht um nun bestimmte Formalien oder Traditionen zu erkunden, habe ich mich Gedichten genähert, sondern wegen der enthaltenen Chiffren mit ihrer Gravitation des Empfindens. Oft deutlicher und konziser erfaß- und begreifbar, als kämen sie in landläufiger Prosa daher. Also nicht fachliches oder gewerbliches Interesse hat mich gelenkt, sondern ich handelte wohl aus der unmittelbar erlebten Gewißheit heraus, über dies und jenes Gedicht an ein anderes Potential des Empfindens angeschlossen zu sein: Da kann wie im Umgang mit Menschen eigenes Empfinden sich wiederfinden, sich bestätigen oder zu neuen Abschattungen gestalten. Die Dimension Zeit ist aufgehoben: Ob der «Falke» dessen von Kürenberg, Gryphius Klagen über den nichtaushaltbaren Zustand der Welt oder Ernst-Jürgen Dreyers heutiger Ekel vor verordneter Mitmenschlichkeit alles springt lebendig gegenwärtig auf, ob vor Jahrhunderten oder jetzt geschrieben. Gleichgültig auch, in welche Form gefaßt, denn «Poetizität» ist bunt und vielgestaltig.
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