Robert Wohlleben: Sonett funktioniert die Form? |
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11. Meiendorfer Drucke: |
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Gleichzeitig und in gleicher Aufmachung, zeichnerisch von Jens Cords begleitet, erschien «Kräckerakra» als Nummer 2 mit einer derb erotischen Passage aus dem «Phantasus» von Arno Holz, in Plattdeutsch als Tarnsprache gehalten. Als ich die beiden Broschüren in der Hand hatte erschrak ich doch ein bißchen ob der bibliophilen Anmutung und wollte gegensteuern. Nummer 3 bestand deshalb nur aus einem dreimal gefalzten und zweimal geklammerten unaufgeschnittenen Bogen ohne Umschlag: «Veilchen und Mährrettich» von Alfons Teschau alias Wohlleben. Das zitierte Sprachverwilderungs-Beispiel stammt daher. Modell für die Minimalform von Nummer 3 waren mir Alfred Richard Meyers alias Munkepunkes «Lyrische Flugblätter». Die dort verwendete Fadenheftung war mir allerdings zu teuer. Die «Meiendorfer Drucke» setzten sich mit Arno Holz, zweimal Klaus M. Rarisch, Ralf Thenior, Wolfgang Uster und zweimal Wohlleben bis Nummer 10 fort. Darunter von Rarisch «Das Ende der Mafia»: bissige Paraphrasierung von Marcel Reich-Ranickis Artikel über das Saulgauer Abschiedstreffen der Gruppe 47 als nach Sizilien verlegtes Heldenepos. 1987 legte ich erstmals Hand an einen Computer, einen längst wehmütig entsorgten Atari ST, und drei Monate später erschien als Meiendorfer Druck 11 «Donnerwetter. Meteorologisches Handbuch unter besonderer Berücksichtigung kulturatmosphärisch-klimatokultureller Aspekte» von Rarisch und mir: ein Werkstattspaß mit rund 500 teils sehr quietschenden Zweizeilern über schlechtes Wetter à la «Was Dante kurz Inferno nannte, / ist unser Höllenklima, das bekannte» (Rarisch). 1988 erschien dann Meiendorfer Druck Nr. 13 als erstes Heft mit Sonetten: «Eisprung I» von Richard Klaus, dem Kriegsinvaliden mit gelähmten Beinen und von Produktivität fast platzend. 1991 gestorben. Der junge Richard Klaus mußte als Richtschütze der Vierlingsflak auf einem umgebauten Walfänger am 2. Weltkrieg «teilnehmen»: « unterm Beschuß durch die Spitfires als einziger auf meinem Sitz festgeschnallt, die Trommellader konnten Deckung suchen Der Richt- und Vernicht-Schütze dem Tod ebenso wie der Zufälligkeit des Lebens preisgegeben», schrieb er mir in einem Brief. Richard Klaus war in den frühen 60er Jahren in Kontakt mit dem Kreis der «Ultimisten» um Klaus M. Rarisch und Dieter Volkmann. Aus «Eisprung I»:
Die Nummern 15 bis 17 von 1989 waren dann gleich drei Hefte mit Sonetten: «Fünfzehn maurerische Sonette für einen Holzschneider» vom «Ultimisten» Dieter Volkmann, später irgendwann im psychiatrischen Gulag verschollen, «Der grinsende Vater» von mir und «Eisprung II» von Richard Klaus. Die Anfangsbuchstaben der Titel von Volkmanns fünfzehn Sonetten ergeben «Meister vom Stuhl» sonstiger maurerischer Bezug ist mir entgangen, abgesehn allenfalls vom Titel des letzten Sonetts:
Meiendorfer Druck Nr. 20 mit 160 Seiten und festem Einband war das bisher größte Sonett-Unternehmen des Mikroverlags: «Die Geigerzähler hören auf zu ticken. Neunundneunzig Sonette mit einem Selbstkommentar» von Klaus M. Rarisch. Die ersten Sequenzen waren schon in Rarischens Büchern «not zucht und ordnung» (1963) und «Das gerettete Abendland» (1982) enthalten. Alles in allem eine vorläufige Summa. Ein frühes Sonett von ihm ist Auftakt:
Von den seither erschienenen 31 Meiendorfer Drucken enthalten 21 zum Teil oder ausschließlich Sonette, so daß es momentan 26 sonetthaltige Titel sind. Nun kommt Titelpoesie. Mit «Eisprung III» war Richard Klaus noch einmal vertreten, Klaus M. Rarisch mit «Bilanz», «Ausfluß der Muse», «Der Nachgeborene» und «Weibsbilder», Ernst-Jürgen Dreyer mit «Gift und Gülle», «Kotblech», «Bodenhaltung» und «Gottvaters Glans». Von mir die Hefte «Falsch und wunderbar», «Zug und Gegenzug», «Alstercafé», «Kino», «Sternzeichen» und «Aus Nacht und Eis». «Hieb- und stichfest. Tenzone und Coda» ist der Sonettenstreit zwischen Rarisch und Lothar Klünner. Anderwärts Sonettbeiträge unter anderem noch von Albrecht Barfod und vom Spaßmacher Karl Riha. Über die Jahre ist bei Ernst-Jürgen Dreyer das Corpus seiner «Müll-Sonette» gehörig gewachsen, von seinen bisher vier Sonett-Heften nur unvollständig abgedeckt: gewiß eine Gegenwelt dessen, was ihm beim Übertragen der Sonette und anderer Gedichte von Petrarca, Guido Cavalcanti (um 12551300) und des Rumänen Mihail Eminescu (18501889) untergekommen ist. Im Meiendorfer Druck «Kotblech» (Nr. 38) steht dies Sonett gedruckt mit apart eigenwilligem Reimschema in den beiden Quartetten und «reich» gereimter Nabelschnur:
Im bösen Minidrama Ernst-Jürgen Dreyer ist auch Dramatiker treten offensichtlich enge Verwandte der Nachbarn aus seinem Sonett «Gebet» auf. Merkwürdig ist mir die Kontaktaufnahme zum jetzt in Berlin ansässigen social-beat-Aktivisten Herbert Laschet Toussaint alias HEL von ihm bisher vier Meiendorfer Drucke, davon drei mit Sonetten: «Sodoms Himmel», «autogensonette» und «mehr- & kehrwert». In der kurzlebigen, aber hübsch buntscheckigen und entsprechend abonnierten Literaturzeitschrift «Göthes Rächer» stieß ich vor Jahren auf ein Sonett von ihm:
Ich bat die Redaktion um HELs Adresse und ihn dringlich um mehr Sonette. Ernst-Jürgen Dreyer dagegen konnte sich mit HELs Petrarca-Sonett in «Sodoms Himmel» enthalten gar nicht anfreunden vom Übersetzer des Petrarcaschen «Canzoniere» nun vielleicht auch nicht zu erwarten. Jedenfalls machen mir HELs Bild- und Wortwelt und flinke Boutaden Eindruck, wie sie in seinen folgenden Sonettheften mehr und mehr zu Tage treten und die gelegentlichen Sonette von Albrecht Barfod, sein «Mauerlos II» zum Beispiel, tuns ähnlich Gedanken in ungebahntes Gelände scheuchen. In «mehr- und kehrwert» so:
So sind Sonette mehr und mehr Konstante in der Reihe der Meiendorfer Drucke geworden. Über den Daumen kamen bisher 438 Sonette zusammen. Es ist also nur zum Teil ein Witz, wenn ich seit 1997 auf der Eingangsseite meines Website den «Zentralverlag für Sonettwesen» annonciere. Witz ist natürlich das Mißverhältnis zwischen der Wuchtigkeit des Etiketts und der doch gefährlich gegen null tendierenden Breitenwirkung der Produktion. In dieser Hinsicht funktioniert die Form nicht. Aber welche Gedichtform tut das schon und muß sie es denn? Inzwischen lege ich wieder in nur hundert Stücken auf und kann vielleicht bald überlegen, aufs Stefan Georgesche Maß von dreizehn zu reduzieren: zwölf für die Freunde, eins für die Masse. Kurzer Hinweis auf die Produktionsbedingungen. Als gegen Ende 1993 mein Finanzamt einen Verlust aus Verlagstätigkeit nicht angerechnet wissen wollte, weil keine «Gewinnerzielungsabsicht» gegeben und deshalb mein Unternehmen als Liebhaberei zu werten sei, riß mich das zu einem ausführlichsten Widerspruch hin. Zwei Absätze daraus:
Dem Widerspruch wurde stattgegeben. | |||||||||||||||||||||||||||
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Rechte bei RW |
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