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Bremer Postkarte von 1924

 


Meerwärts

Sehr gut befährt der Dampfer, was er kennt,
vorm Spiel der Wasserstände auf der Hut.
Wir sehn den Strom: Die Position ist gut.
Die Barren? – Mählich wächst das Sediment.

Wir drehn den Pott dann doch befriedigend:
Da mischt sich Bug mit Ruder, Eis mit Glut.
Ausreichend Wasser unterm Kiel vertut,
was Flut dem Ebbstrom schuldet: null Prozent.

Gerät die Lotung letztlich mangelhaft,
verräts der Wasserspiegel ... läßlich lügend.
Belügt sich da nicht blind die Lotsenschaft?!

Was ausgerufen wird, bleibt ungenügend.
Wo zwischen Kiel und Grund kein Faden klafft,
wird achteraus nur Treibsel angegafft.

    Robert Wohlleben

Enthalten in
»Alstercafé« = Meiendorfer Druck Nummer 34


Am Meer

Klaus M. Rarisch spricht


Verlassen liegt die Küste, unbewacht.
Auf schroffen Klippen in dem toten Sund
versteinern Möwen grell mit offnem Schlund.
Hier haben Hirne sich umsonst zerdacht:

Wer schlug einst gegen wen warum die Schlacht
und schickte Schiff um Schiff am Riff zum Grund?
Ein Taucher birgt aus einem Wrack als Fund
die Bordkanone der besiegten Macht.

Es war der Strand, an dem man stranden mußte,
der Sternenstand, die Heere zu verheeren,
die Zeit, die nichts von Glück und Frieden wußte.

Und diese Zeit wird einmal wiederkehren.
Du kannst dich gegen das Geschick nicht wehren.
Ein alter Taschenkrebs wetzt seine Scheren.

    Klaus M. Rarisch

Enthalten in
Die Geigerzähler hören auf zu ticken
= Meiendorfer Druck 20


Ich will es recht verstanden haben: das
was ich hier tu ist niemands nutz und frommen
kein krebs den ’s schert     kein knurrhahn der ’s verbellt
Ich fülle bücher in ein leckes faß

Die bucht ist noch vom lichtersturz benommen
da haben wir (ich weiß nicht wo der rest
sich rumtreibt) lampen aufgehängt zum test
Und das orchester watet auf den strand

Und schaff ich hier nicht meine gegenwelt
schaff ich sie nirgends     bleib ich ungeworden
Das ist nicht euer das ist mein problem

Schaut in das weiß und macht es euch bequem
Ich lade bis die leichter überborden
das strandgut auf vom wurmbelaßnen sand

    Herbert Laschet Toussaint (HEL):

Enthalten in
autogensonette = Meiendorfer Druck 45


Sie sahn die zeit die über sie hinwegging
und der moment wo alles stimmte fand
woanders statt: sie sahn das süße land
auf alten karten     wußten: wer an deck ging

der wurde nicht von gischt und sturm vertrieben
den scheuchten schiffsjungs brauenhoch hinweg
Das ist die hälfte die du unter deck
im dunkeln zubringst: abweisblicke schieben

Und keinem ist der abstieg leicht geworden
Sie fühlten sich gepreßt in jenen orden
im herzschrittmachertrainingsanzug: noch

fürs letzte hemd im zwischendeck geduldet
so lang der himmel trügerisch gemuldet
orkanmond schlürft den springgezeitenkoch

    Herbert Laschet Toussaint (HEL):

Enthalten in
mehr- & kehrwert = Meiendorfer Druck 51


Am toten Meer

Gedanken dorren hier zu nackten Fragen.
Die grellen Tode dämpft kein Weihrauchduft.
Die Lungen atmen Pest in dieser Luft,
Seit hier ein Gott den eignen Sohn erschlagen.

Die Opferschalen vor den Sarkophagen
Verdunsten Blut, das nach dem Mörder ruft.
Hoch wölbt ein Himmel gotisch diese Gruft.
Mein Scheitel muß die Welt WARUM ertragen.

Das Meer, in das mein Geist sich sucht zu senken,
Zerglutet kühlen Hohnes giftig Blei.
Vollzieht den Spruch, mich gnädiglich zu henken,

Daß ich der Schuldige statt seiner sei!
Den ewig Wahngeschlachteten zu denken –
Zerhirnt Gesang durch alle Sphären: Schrei!

    Klaus M. Rarisch

Aus dem Zyklus
»Letztes – ein Epilog in Sonetten«

Enthalten in
Die Geigerzähler hören auf zu ticken
= Meiendorfer Druck 20


Meerstimme

Die Muschel hob ich über Segelstangen;
Ein Eremitenhaus, gefliest vom Rot –
Die Träume stahlen keinem Fischer Brot
Und waren leise längst ins Meer gegangen.

Die Muschel gab ich meinen Einsamkeiten
Ans Ohr – und bebend nahm’s Atlantisklang
Und wurde gut und stark im Weltendrang
Und sah Phöniziens Purpurschwäne reiten,

Don Cristobal, des Schwertfischs flinke Flanken,
Armadas fetten Bauch, die Drakeharpune,
Und »Jim, den Lord«, die Robinsonlagune,

Und black and gold der Sklaven, Fieberkranken;
Schalmei und Horn, gewölbt Poseidons Lippen:
Der Menschheit Meerfahrt – in den Kreideklippen.

    Dieter Volkmann

Enthalten in
Fünfzehn maurerische Sonette
für einen Holzschneider = Meiendorfer Druck 15


Nr. 60

Die Wellen trecken stet aufs Strandgestein,
mit jeder schwindet uns ein Nu dahin;
ist einer aus, schwingt stracks ein neuer ein
und drängt sich vor und ringt um Zeitgewinn.

Ins Licht der Welt geweht, ist das im Krampf
am Krabbeln hin zur Reife, Lohn der Müh!
doch schon zwingt Dusternis den Glanz zum Kampf.
Was Zeit uns schenkte, war à fonds perdu.

Die Zeit zermetzt das Jugendkonterfei
und kriegt die schönste Stirn verquer versappt,
vernascht auch Rasenstück und Akelei,
da hält nichts stand, wo ihre Sense kappt.

Laß mich doch hoffen, daß nun grad mein Wort
an dich nicht unter ihrer Hand verdorrt.

    Robert Wohlleben

Nach Nr. 60 von William Shakespeare

das Original

Enthalten in
»Kino« = Meiendorfer Druck Nummer 41


Nicht Thule

Kompakt im Clairobscur von Packeiskliffen
sind ganz tief innen Rümpfe aufgespiert.
Die sind aus heißem Schwall ins Eis gegiert,
das hat die leichte Prise blind ergriffen.

Da endlich klafft der Firn auf und gebiert
den Schattenriß von eingefrornen Schiffen.
Vollzeug gesetzt und unter Bootsmannspfiffen
gehn die auf Törn, bis Licht die Segel fiert.

Dann geht ein Schrein an, daß die Ohren gellen
und Vögel ihre Flügel aufgeschreckt
und weit gespannt dem Sturm entgegenstellen.

Wer schreit da was? Wen hats zum Schrein geweckt?
Die Albatrosse segeln ab, die Wellen ...
sie stehn vor Thule: ewig unentdeckt.

    Robert Wohlleben

Enthalten in
»Kino« = Meiendorfer Druck Nummer 41

 


Siegfried-Werft, gezeichnet von Jens Cords
 


 

Siegfried-Werft (Eckernförde)

Mit Balken steht und holzbeschlagen
die Hausung offen, haust nichts mehr.
Sich fremde Planken klaffen sehr
dahin, wo fast nicht Schatten jagen.

Kein Holz im Dampf, kein Quast im Teer,
und keine Spanten sollen ragen.
Die Säge ist ein Rost. Da sagen
die Fenster Rost in Bögen her.

Und leerwärts wächst sich die Kamille.
Das Schwalbenpendel stillt sich nie.
Der letzte Bau – ist ihm der schrille

Verruf der Möwen? – hieß wohl wie?
Erinnerung hält still. Steht stille.
Ganz menschverlassen endet sie.

für HCA

    Robert Wohlleben

Enthalten in
Zug und Gegenzug = Meiendorfer Druck 28


Einschluß

Atem stockt im Wellengang von Licht,
Strömung transportiert die mitgeschwemmten
Bildsequenzen zu den abgedämmten
Watten... wandelt sie zur letzten Schicht.

Abdruck ist da aufbewahrt: Gesicht,
Kniefall und in einem zugeschlämmten
Reimwerk, dem Detritus eingekämmten
Fingerspuren, letzter Fundbericht.

Ausgekämmt sind Schulp und Muschelscherben,
solln ins Schapp zu Schnecken und Korallen.
Restlicht schließt sie bald in Bernstein ein.

Flut kommt, ebnet ein für neues Sterben.
Wie da Schichten über Schichten fallen,
wächst das Sediment von Stein und Bein.

Grabschrift für Heide

    Robert Wohlleben

Enthalten in
Zug und Gegenzug = Meiendorfer Druck 28


Ein Traum

    nach einem Traum von Josef Wilms

Der schwefelgelbe Horizont erlosch;
die Brandung wallte auf ihn zu, und Wesen
entstiegen ihrem Schaum, halb Fisch, halb Frosch,
verletzt, verseucht, mit eisernen Prothesen,

und er, indem die giftige Gischt sie drosch,
begriff, daß voller Hoffnung zu genesen
die klagenden Geschöpfe wie von Bosch
sich ihn zu ihrem Retter auserlesen ...

Nicht Grauen wars noch Furcht, was er empfand –
es griff ihm um das Herz wie eine Hand:
»Ich bin, ihr Teuren, einer von den euren ...«

So stand er, bis das erste Wesen schwand,
das zweite, dritte, und vom Meeresstrand
ins Dunkel glitt der Netze und der Säuren.

    Ernst-Jürgen Dreyer

Enthalten in
Bodenhaltung = Meiendorfer Druck 44


Törn


Der Tag geht an mit Halsen: Schlag um Schlag
verschlingt der Kurs sich in die Archipele,
daß keins der Eilande im Logbuch fehle:
die Länge, Breite, wie’s zum Winde lag ...

An Deck das Tauwerk, Ladung laut Vertrag.
Zu leicht im Kiele, krängt nun die Kraweele.
Ins Bilgenwasser leckt des Schiffes Seele.
Wahrschau und Kopp weg! Sie geht über Stag!

Die Dünung wälzt sich her im steten Treck,
in Schwall und Gischt zertrennt der Bug die Fluten.
Kielwasser hetzt zum Himmel hinterm Heck.

Der Törn durchzackt die Karte über Eck.
Zenit und Nadir flackern durchs Vermuten
und vage Azimute ins Besteck.

für Vera

Robert Wohlleben

Enthalten in
Falsch und wunderbar = Meiendorfer Druck 22


Über Gedichte von Rilke

Der Himmel überm Watt: Legendenlicht ...
nicht weit vom Horizont, auf festen Spuren
wie Automaten in Figurenuhren,
gehn Tier- und Menschenzüge, enden nicht.

Sehr schön in Fell und Roben wenden dicht
an dicht sich Dichter, Panther, Königshuren
den Schatten zu, wo Blitze niederfuhren
und sich das Licht im Rauch von Bränden bricht.

Von Schlössern, Zirkus, Zoo und andren Welten
weht Wind die Fetzen her von Walzern, Worten,
Geschrei ... die Tide lief mit allem ab.

Nur Bläschen sprangen, Möwenschreie gellten,
die Stille streckte hin sich zu den Pforten
versunkner Parks mit Indigstrauch und Krapp.

    Robert Wohlleben

Enthalten in
Der grinsende Vater = Meiendorfer Druck 16


Heimfahrt

Wann kommt das Schiff? Sie besserten am Segel
Und trugen Krüge Nacht in seinen Raum –
Und dieser Mann an jenem Ruderbaum,
Er ist mein Freund; der beste überm Pegel.

Die Mannschaft deckt mit Efeu alle Wanten,
Ein Lilienkranz – so hängt der Anker groß,
Die fremde stille Frau neigt sich zum Schoß,
Der Kapitän studiert den Nachtsextanten.

Die Winde heben sich von alten Hainen
Und geben Fahrt dem stillen Riesenfisch,
Ein leeres Rechteck wartet weiß – der Tisch;

Von eingesperrten Dingen klingt’s wie Weinen.
Im sternenlosen Blau der Nacht – der Weg:
Des Schiffes harre ich, am Landungssteg.

    Dieter Volkmann

Enthalten in
Fünfzehn maurerische Sonette
für einen Holzschneider = Meiendorfer Druck 15


Gezeiten

Wie Licht sich windet, will sich die Kontur
der Straßen stetig lösen und verschatten.
Der Schritt aufs Pflaster wird ein Schritt in Watten,
und Ziegelbrandung überspült die Flur.

Und was versickert nun ins Kieselgur?
Was sagt das Sediment auf Gehwegplatten?
Wozu geht hier im Nachbild nur vonstatten
ein Stück, wo Hand ins Haar, zum Munde fuhr?

Und neue Bilder bringt nun jede Tide,
läßt sie als Projektion von nichts zurück,
und Atrophierung killt die Unterschiede.

Medusa, Totentanz und Schauerstück
verfangen doch vibrierend sich am Lide,
der Bilderkatarakt verebbt ... mit Glück.

    Robert Wohlleben

Enthalten in
Der grinsende Vater = Meiendorfer Druck 16


Sternfischzug

Die Netze voll von Nuggets und Geschmeide,
ziehn Sichelkiele dünend ihre Bahnen;
nur milchig vor den Küsten stehn die Sahnen
von Wolkenballen, hinschraffiert mit Kreide.

Zum offnen Meer hin aber dehnt sich Seide,
die Weite bebt von uferlosem Ahnen;
taubgraue Tropfen perlen von den Planen,
Schaumkämme äsen hin auf dieser Weide.

Die Strömung zwingt das Boot durch Agonien,
und Klöppel schlagen wie auf Bronzegüsse,
aus schwarzen Tiefen röhrend hochgespieen,

wolln Nereiden ihre Kreise ziehen,
umkrustet von der Fracht der großen Flüsse,
für eine Nacht den kalten Raum zu fliehen.

    Richard Klaus

Enthalten in
Eisprung III = Meiendorfer Druck 23


Erster Klasse

An Backbord fort, an Steuerbord nach Haus ...
der harte Törn zumindest mild belichtet:
Die roten Berge dampfen achteraus,
die Schluchten schroff als Sperrwerk aufgerichtet,

das Küstenbild flirrt in der Spiegelschicht,
da jagen Staubdämonen, hochgeschwungen
zum Stich den Skorpionenschwanz: vom Licht
umgleißt, stehn Ladies an den Messing-Rungen.

Fahrrinne blau und quer durchs Glitzerriff:
Gestirne toben nächtens in den Wanten.
Der Kiel verrutscht am Globus, tief im Schiff

beladne Seelen in des Schicksals Spanten ...
ob Adel oder Volk den Kurs bedacht,
ob Hautevolee, ob armes Schwein als Fracht.

    Robert Wohlleben

Enthalten in
Aus Nacht und Eis = Meiendorfer Druck 49

Nach »POSH« von Hilary Corke
in The Times Saturday Review, Oct. 3, 1992

das Original

Fellini: E la nave va

Traum von der Stiefelspitze

Ich ließ es mir nicht träumen, daß im Traum
ich müd genug sein könnte, um zu schlafen;
doch hinter uns lag schon der letzte Hafen,
und vor uns blinkte keiner Küste Saum.

An Bord Barone, Gräfinnen und Grafen;
es schlugen Figaros in Scharen Schaum.
Nur ich als Abschaum existierte kaum,
und mich rasierte keiner dieser Braven.

Nun jäh erwachend, sah ich fremde Strände
mit Badenden – die tauchten ihre Hände
ins Meer und hielten faul die grauen Bäuche

und krampften, wehe, ihrer Zehen Spitze,
als litten sie an Maul- und Klauenseuche:
Es war Kalabrien in Höllenhitze.

    Klaus M. Rarisch


Saison um Antibes

Die langen Stunden schlafen ausgedehnt,
und Tagesleere gähnt in den Visagen.
Beflissenheit ermüdet nur drei Pagen
im Grand Hotel, das sich nach Gästen sehnt.

Das ganze Inventar wirkt wie entlehnt,
und niemand weiß Ermunterndes zu fragen;
es plagen sich die längst bekannten Plagen,
nur Stubenmädchen hoffen auf ein Zehnt.

Das Meer lallt müde und verschäumt im Sand,
nur weiter draußen strähnen ein paar Kämme
und waschen frei vom Schlick zwei Klippendämme.

Verzuckend sterben Fische auf dem Strand,
und Sonne hält sich schwitzend, unverwandt
zum Trocknen ein paar angeschwemmte Stämme.

    Richard Klaus

Enthalten in
Eisprung II = Meiendorfer Druck 17


FKK – ein Strandspaziergang
Des dicken Dandys Gram- und Trostgesang

Natur! Oh Mutter! Wie du unverrenkt
mir Sinnenfreude schenkst – und doch: mich greuchelt!
Weil edler Zwirn beschönigt, was schwer bäuchelt;
trotz stolzer Masse bebt es unbeengt ...

Wie jede Wölbung meinen Scharfblick kränkt! -
der Herrn Gestengel stur Entspannung heuchelt,
der Damen Pfundsgeläut mir Ruhe meuchelt,
wie Nacktes sich in meine Muße drängt!

Am Strand sind alle gleich – wie uncharmant!
Wenn Pöbel lärmt – so unerquicklich munter,
geht gottgewollte Stille schicklich unter,

und kontrastierend kuck ich larmoyant.
Doch Weiber kreischen: Spanner! Gaffer! Dandy!
Und Glocken läuten – nein, das ist mein Handy …

    Daniel Goral


Überm Tongagraben

Fieren läßt der Herr der Winde.
Klatschend fährt die Trosse nieder:
Geologen wollen wieder
Nagen an der Erde Rinde. *)

Hieven muß man ganz gelinde.
Jeder späht voll Forschungseifers,
Daß dem Griff des Kastengreifers
Nicht der rare Stein entschwinde.

Achtern hebt schon die Hydraulik,
Bootsmann treibt die Mackers an
(Die sind heute etwas maulig).

Doch wer steht da auf dem Kahn?
Grün und naß und stinkend faulig:
Grinsend DER KLABAUTERMANN!

    Christian-Otto Schacht

*) NB: bis zu 4.000 m Tiefe!


Mauerlos III oder Schwan kleb an
Parodisches zu 2 trüben Sonetten

Lot mi an Land! Jetzt schwimm’ ich in den ro-
ten Abend langsam rein – die Köpfe prallen
mir gegen’s Treibgut – meine Zungen lallen –
mein buntes Auge ging vorhin entzwo.

O Brandungsschlag tonauf tonab – Jo-jo
der Wogenschwalle ruft mich mallen
und müden Meerverbraucher. Doch Korallen
zerlegen mich grad einzeln und en gros.

So himmelhöher ich stets peilte:
Dies Ufer mauerte. Rothoch die Kante stellte.
Da oben links? Wo sich erbot

ein – Portikus? –, der weiß ein Stück weit zeilte,
den keiner noch abbeilte und zerkeilte –
da rauf? War wohl mehr was für Behemoth.

    Anonymus (Albrecht Barfod?)

Beitrag zur Tenzone Mauerlos auf einer Postkarte
an die Abt. Leserbriefe im Robert Wohlleben Verlag,
Poststempel vom 3.11.1995


Havarie

Der Wind nimmt zu. Du weißt Bescheid:
Jetzt gilt’s, behend nach Luv sich wehren,
sonst wird der Großbaum dich verheeren.
Denn: Jedes Ding hat seine Zeit.

Sind auch die Fetzen aufgegeit,
könnt Sturm sich schwer ins Tauwerk scheren,
daß Rumpf und Mast sich kenternd kehren
zur Grundsee hin ... sie kommt von weit

und schwellend, bis sie gischtend bricht.
Wer fragt da noch, was sich verlor
mit Widersee und allem nicht

verwahrten Gut, solang sich hält
gelassenes Entsetzen vor
der immer unverfugten Welt.

für Frank Böhm
Ottensen,
grad Ende September/Anfang Oktober 1997

    Robert Wohlleben

Enthalten in
Sternzeichen = Meiendorfer Druck 46


Abschied

Was soll uns Trost – wo doch im Krähenflug
die dunklen Kurse schon die Knoten schlugen?
Und Wasser zog der Rumpf durch all die Fugen,
so trumpft die Grundsee dumpfer an den Bug.

In Takelung verschlungen: Lug und Trug.
Ins Segel fuhr ein Sturm, die Stöße trugen
vom Tuch was fort, und Mond und Sonne lugen
durchs Loch – der Sichelkiel verlor an Zug.

Fahr hin! Laß an der Kimmung Dich verschwinden!
Der Himmel schwimmt schon still zu blinden
Gestirnen hin: wie Zirrenspiel zerfiel.

Wir werden Wimpel an die Spieren binden,
ihr Spiel im Wind wird Dich nicht finden –
doch wehn sie Dir zum Gruße: Richtung Ziel.

Grabschrift für Richard Klaus

    Robert Wohlleben

Enthalten in
Falsch und wunderbar = Meiendorfer Druck 22


Leinen los

Die Kimmung längt sich hin am Erdballrund,
hoch überwölbt vom immer fernen Heben.
Die Dünung rollt in Gischt, als ging ihr Streben
im Zweifel hin zu fernem Mahlstromschlund.

Laß fallen Anker! Wär da auch kein Grund,
sich einzugraben, endlich Halt zu geben.
Wie Fahrten sich ins Kartenblatt verweben,
gings hin durch Tief und Flach und Belt und Sund.

Der Wind, der Strom, die Abdrift eingeschätzt,
Besteck fürs letzte Etmal aufgemacht …
die solten See ist Braut. Und wer ihr Schatz?

Das hieß: Den Kurs auf raume See gesetzt,
die Segel flatternd in den Wind gebracht,
gings auf den Törn zum letzten Liegeplatz.

Epitaph für Dietrich Wolters
Ottensen, 10. Juni 2011

    Robert Wohlleben


Auf dem Damm nach Helmsand

Die Haut der Welt so grau wie Himmels Haut.
Die Zeile Deich beschreibt, mit einem Grate,
das ganze Feste, fern und im Ornate
der Windverformung niedrig hergestaut.

So weit gekommen: kaum ein Atmen weit.
Am Stack beginnt, von Möwenruf beschieden,
geringer Hinterlassenschaft der Tiden
Vergang in Sprüchen gegen Endlichkeit …

gerinnt wohl wann zu Nebel überm Watt.
Darinnen treiben leicht erkennbar Schatten,
verrenken sich im stummen Ringelreihn.

Kein Ahnen, was es zu bedeuten hat,
woher die Wesen ihren Willen hatten …
ihr Tanz scheint end- wie anfangslos zu sein.

für Karl P. Grune
April 1963 / Mai 2008

    Robert Wohlleben


On a wing and a prayer

Im Abendgrauen ists wie leichter Schritt.
Was kommt, uns nun zum Nachtmeerflug shanghaien?
Ein Käuzchenflug führt hin zu kleinem Schreien,
uns scheint: Viel tiefer unten schreit es mit.

Der Film im Kopf läuft hin von Riß zu Schnitt,
ist abgespielt, beginnt schon zu verschneien.
Doch hin ist hin, Kopie nicht auszuleihen.
Erinnert bleibt die Tonspur mit »Kiwitt«.

Was noch? Ein bißchen Bilderflucht von Brandung,
die sacht in Meeresleuchten übergeht,
ein Inselsaum mit Zeichen von Versandung …

Wohin solls gehn? Was sagt der Paraklet?
Was reicht denn wohl für letztgewollte Landung?
Ein Flügel nur? Zur Not noch ein Gebet …?

für Peter Rühmkorf
Ottensen, 18. April 2008

    Robert Wohlleben


Passage

Wann löst sich nun der nächste Schuß vor’n Bug,
Ins knappe Abseits seines Ziels gelenkt?
Doch noch wohl flott, noch immer nicht versenkt …
Es bleibt beim Kurs: hin unterm Möwenflug.

Rebellenstander unterm Wolkenspuk,
Flibustern steht das Zeug in Wind geschwenkt.
Am Rad der eine, der die Peilung denkt,
Hat Durst auf einen Schluck im Nobiskrug.

Rapporte kommen aus dem Krähennest:
Nichts ist, wie’s soll, wir sitzen in der Falle.
Im Geist der Gasten wuchs und wächst ein Groll,

Seit sich das alte Spiel erkennen läßt:
Salut auch dies, für uns und schließlich alle.
Ein Schuß vor’n Bug … am Ende trifft er voll.

für Bernd Löschmann zum 15. Juli 2016

    Robert Wohlleben