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Sonette

In karl rihas Sicht: pyromanisches sonett

übersetzen ...

 

Durch Klaus M. Rarischens Vermittlung verdanke ich Heinz Ohff den Hinweis auf die SATURDAY SONNETS:
1992 erschienen sie ein halbes Jahr lang Woche um Woche in der Wochenendbeilage der TIMES.

The Times

Da sieht mans wieder: Die Briten neigen zum Exzentrischen … man stelle sich nur vor, hierzulande würden FAZ, TAGESSPIEGEL oder WELT (von FR und taz mal zu schweigen) mit einem sonnabendlichen Sonett daherkommen … DAS gäbe ein Geschrei!

Nu, in andrer Zeit – und andrer Welt? – geschah’s, daß DIE ZEIT Christoph Meckels und Volker von Törnes »Zeitgespräch in 10 Sonetten« als Tenzone sich entspinnen ließ. Erschien dann 1967 bei der Friedenauer Presse:

Die Dummheit liefert uns ans Messer

Was THE TIMES da erscheinen ließ, war keineswegs outdated oder abgestanden, sondern HÜBSCH!

Going Down

‘It is the BBC which keeps us all honest.’
(Michael Grade, head of Channel 4)


The lifts go up and down in Portland Place,
Heavy with programme-makers and the like,
Expressing all that moves the Island Race –
Cricket and cars and clowns who take the mike.
On coming changes you can put your shirt:
Reform? We can’t afford to be too fussy.
Perhaps the Beeb will burgeon under Birt,
Or Auntie might become a shameless Hussey.
Reith is long gone, but certain ghosts remain
And prompt those zealots who have not resigned
To educate, inform and entertain.
If money talks, can Chequeland change his mind?
Onward, unbowed, will march the Corporation:
Nation shall Speak of Ratings unto Nation.’

Roger Woddis
The Times Saturday Review, Sept. 19, 1992

Mein erster Anlauf … da meinte ich, das Akrostichon unterschlagen zu dürfen:

Voll ins Auge

Das Fahrstuhl-Auf-und-Ab am Rundfunkplatz
verhebt Programmgestalter und Consorten.
Die schicken Volkes Sorgen in die MAZ:
die Ziehung, Tennis, schlecht gezielte Torten.
Mal klar, daß alles hier zum Wandel drängt:
Reform? Davor sind immer Intendanzen.
Und in den Intendantensessel zwängt
ein neuer Arsch sich – tun die Puppen tanzen?
Von Zahn hat Pause, doch so mancher Spuk
glimmt nach, verrührt nur stur den alten Kleister
im Bildungs-, Nachrichten- und U-Bezug.
Markmark! Vielleicht ruft das die rechten Geister?
Mit ruhig-festem Tritt marschiert die Anstalt:
nicht daß man schelte, sondern daß man anschalt’!

Aber dann rührte sich das Gewissen … und es geht doch:

Voll ins Auge

An jedem Fahrstuhlschacht am Rundfunkplatz
Umschwirrn sich Redakteure und Consorten.
Sie schicken Volkes Sorgen in die MAZ:
Grand Slam, die Ziehung, schlecht gezielte Torten.
Echt klar, daß alles hier zum Wandel drängt:
Wieso Reform? Davor sind Intendanzen.
Oh, in den Intendantensessel zwängt
Gezielt ein Arsch sich – tun die Puppen tanzen?
Ein Eggebrecht hat Ruh, doch mancher Spuk –
Noch da! – verrührt nur stur den alten Kleister:
Halb Sport, halb News, halb U-, kaum Kult.-Bezug.
Ein Geld!!! Vielleicht ruft das die rechten Geister?
In ruhig-festem Tritt marschiert die Anstalt:
Tut bloß nicht schelten … Ziel ist, daß man anschalt’!

 

Andreas Sieveking überträgt:
Nach unten

Auch KLAUS M. RARISCH nahm sich ein SATURDAY SONNET vor:

Love Poet

Of all the poets of his generation
He best explored love’s ecstasy and pain,
And overheard the wordless conversation
Of gaze with gaze, and made its meaning plain.

In glinting lyrics, delicate and witty,
He linked the syllables and made a chain
Of images of longing, rage and pity
That shimmered in each reader’s heart and brain.

His tolerance and reconciliation
Of opposite emotions seemed divine;
Imagine, then, the general consternation

When he fell sick, grew pale, began to pine,
And failed to diagnose his own condition:
On love he never wrote another line.

Vernon Scannell
The Times Saturday Review, Sept. 26, 1992



DICHTER DER LIEBE

Von all den Dichtern seiner Art und Zeit
War er der kundigste für Leid und Lust
Der Liebe; ihrer Blickberedsamkeit
Wortlosen Sinn, er machte ihn bewußt.

In Versen, funkelnd, zart und reich an Geist,
Hat er der Silbenketten Bilderblust
Zu Sehnsucht, Wut und Mitleid eng verschweißt,
Erhellend jedes Lesers Hirn und Brust.

Er schien in der Gefühle Widerstreit
An duldsamer Versöhnung Gott zu sein.
So war man zur Bestürzung schnell bereit,

Als er erkrankte, bleich vor Herzenspein.
Zur Selbsterkenntnis fehlte ihm der Schneid.
Zur Liebe fiel hinfort ihm nichts mehr ein.

Deutsch von Klaus M. Rarisch
Dem deutschen Text liegt eine Prosaübersetzung
von Heinz Ohff zugrunde.

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William Shakespeare
Annäherungen an
William Shakespeare

Sonnet Central
Der Zugang zum britischen Sonettwesen!

SONNET IX

Tout aussi tot que je commence à prendre
Dens le mol lit le repos desiré,
Mon triste esprit hors de moy retiré
S’en va vers toy incontinent se rendre.

Lors m’est avis que dedens mon sein tendre
Je tiens le bien, où j’ay tant aspiré,
Et pour lequel j’ay si haut souspiré,
Que de sanglots ay souvent cuidé fendre.

O dous sommeil, o nuit à moy heureuse!
Plaisant repos, plein de tranquilité,
Continuez toutes les nuiz mon songe:

Et si jamais ma povre ame amoureuse
Ne doit avoir de bien en verité,
Faites au moins qu’elle en ait en mensonge.

Louise Labé
Louïze Labé

 

Übertragung von Rainer Maria Rilke

GLEICH wenn ich endlich abends so weit bin,
daß ich im weichen Bett des Ruhns beginne,
zieht sich der arme Antrieb meiner Sinne
aus mir zurück und mündet zu dir hin.

Dann glaub ich an die Zartheit meiner Brüste
das, was ich ganz begehre, anzuhalten,
und s o begehre, daß mir ist, als müßte
mein Schrein danach, wo es entsteht, mich spalten.

O Schlaf, der nachgibt, Nacht für mich gemeinte,
innige Stillung, glückliche Genüge,
halt vor für aller meiner Nächte Traum.

Ist für das immer wieder mir Verneinte
in dieser vollen Wirklichkeit nicht Raum,
so laß es mir gehören in der Lüge.

Die Vierundzwanzig Sonette der Louïze Labé. Lyoneserin. 1555
(Insel-Bücherei Nr. 222)


Übertragung von Marcel B. Schmitt
(Yin Verlag, München 1951)

So wie ich anschick ’, mich zu strecken,
Im weichen Bette Ruh zu suchen,
Wendet zu dir sich, der die Einsamkeit versuchen
Wollt ’, der traur ’ge Sinn, will unruhig dich wecken.

Dann ist mir klar, daß in dem schwachen Busen mein
Das köstliche ich halte, das ich so begehre,
Für das in heißem Schmerz ich mich verzehre;
Tränen zermürben mich wie Tropfen einen Stein.

O süßer Schlaf, ersehnte Nacht,
o sanftes Ruhen in der Stille,
Versagt mir nicht die Gunst zu träumen:

Und wenn in meiner Seele Sehnsucht ist entfacht,
Und Labung ihr verwehrt, so mag dein weicher Wille
Spenden ihr Lug und Trug zum Überschäumen.

Dazu ein Kommentar von Klaus M. Rarisch

Was man so »Zufall« nennt – : Zwei alte Freunde gaben mir, fast gleichzeitig, aber unabhängig voneinander, den Anlaß zu diesen Bemerkungen. Karlheinz Engel stellte in einem Brief vom 20.11.1993 den Wert von Rilkes Labé-Nachdichtungen in Frage. Und Robert Wohlleben schickte mir am 7.12.1993 die Labé-Übertragungen des völlig unbekannten Marcel B. Schmitt von 1951, die er von seinem Namensvetter Rudolf Wohlleben aus Bonn erhalten hatte.

Zum Vergleich der Übersetzungen eignet sich das Sonett Nr. IX. Louise Labé (1526–65), die hochgebildete und in der Belagerung von Perpignan kriegserprobte Lyoneser Seilersgattin (»la belle cordière«), erscheint in dem Standardwerk »Sonett« (Stuttgart 1979, S. 49) nur als namhafte Vertreterin der »Ecole lyonnaise«, welche »die italienische Dichtungssubstanz französischen Formen und Empfindungen« angepaßt habe.

Das Sonett Nr. IX reimt klassisch ebenmäßig (abba/abba//cde/cde), bzw., bei genauerem Hinsehen, noch raffinierter: abba/abba//cbd/cbd. Beide Übersetzungen bleiben dahinter weit zurück: Rilke abba/cdcd//efg/egf; Schmitt abba/cddc//efg/efg. Die Version von Schmitt wirkt wie der Versuch eines Dilettanten. Schmitt übersetzt höchst ungenau und kann die Pointe des Sonetts, die Dialektik von »verité« und »mensonge« im letzten Terzett, nicht wiedergeben. Ein festes Metrum ist bei Schmitt nicht zu erkennen. Die Silbenzahl variiert zwischen 8 (Vers 9) und 13 (Verse 3,6,13). Der Rhythmus läuft der jambischen Grundstruktur holprig zuwider. Schmitts Übersetzung ist in jeder Beziehung indiskutabel und zudem, angesichts des bedeutenderen Vorgängers Rilke, absolut überflüssig.

Aber auch die Rilkesche Version stellt trotz aller Professionalität und Routine des Übersetzers kein Meisterwerk dar. Wie schon Karlheinz Engel feststellte, wirkt die Floskel »des Ruhns beginne« (Vers 2) unerträglich gekünstelt. Gleiches gilt für die Umkehrung der natürlichen Wortfolge in Vers 9: »Nacht für mich gemeinte«, mit der Schmitts schwächliche Inversion »in dem schwachen Busen mein« (Vers 5) sprachlich korrespondiert. Das Metrum des fünffüßigen Jambus hält Rilke zwar im Gegensatz zu Schmitt durch, jedoch die Synkope »innIge« (Vers 10) widerspricht schmerzhaft lärmend dem intendierten Wortsinn der »Stillung« und läßt sich meines Erachtens ästhetisch nicht rechtfertigen. Und zu Vers 5/6: Inwiefern die Zartheit weiblicher Brüste irgendetwas anzuhalten vermag, bleibt das Geheimnis Rilkes, der sowohl als Dichter eigener wie als Übersetzer fremder Sonette maßlos überschätzt wird. – Wesentlich zurückhaltender äußert sich zu dieser Frage das oben erwähnte Studienbuch »Sonett« (S. 123):

Der beträchtliche Anteil des Sonetts an den »Neuen Gedichten« hat zu der Frage geführt, ob diese Form Rilkes besonderen Intentionen in dieser Lyrik entgegengekommen sei. So wurde einerseits die Neigung des Sonetts, am Schluß eine Pointe zu bilden, andererseits seine Zweiteiligkeit als entscheidender Faktor hervorgehoben. Von solchen deduktiven Feststellungen, die dann meist an einigen »charakteristischen« Ausprägungen nachgewiesen werden – aber weiterhin gelten – sollen, sind verläßliche Aufschlüsse bisher nicht erbracht worden. Die Einzigartigkeit der Sonettdiktion dieses Autors macht Beobachtungen zur Formbehandlung ebenso schwierig wie wünschenswert.

Meine Beobachtungen zu Rilkes Formbehandlung stelle ich hiermit zur Diskussion.

Klaus M. Rarisch

Klaus M. Rarisch übermittelt Giuseppe Gioacchino Belli:
Eine menschliche Komödie in Sonetten
und HEL nähert sich von Köln her

Ernst-Jürgen Dreyer und Geraldine Gabor übermitteln
Guido Cavalcanti und Mihai Eminescu

Ernst-Jürgen Dreyer und Geraldine Gabor nähern sich einem
Parforcesonett von Burchiello

Ernst-Jürgen Dreyer macht große Augen
angesichts einer russischen Übersetzung eines seiner Sonette

RW versucht sich am Übertragen
des ibolithischen Sonetts »bloë ogrún«

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Die Sonett-Verbildlichung »pyromanisches sonett« verdanke ich folgender Publikation:
karl riha: so zier so starr so form so streng. 14 text- und 9 bildsonette.
(bielefeld:) pendragon (1988)
 

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